Iwan Blisnjuk (auch Blyzniuk) wurde am 30. Juli 1944 in München geboren. Er war das Kind von Iwan und Olena Blisnjuk (auch Olana, geborene Lunjiw oder Lunjiwa), die nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppt worden waren. Er verbrachte seine wenigen Lebensmonate im Lager des Reichsbahnausbesserungswerks (RAW) in Neuaubing.
Iwan Blisnjuk wurde wahrscheinlich nach seinem Vater benannt. Dieser wurde am 2. Januar 1893 in Rakovez im Rayon Ternopil in der heutigen Ukraine geboren. Bis 1943 arbeitete er in der Landwirtschaft. Iwan Blisnjuks Mutter Olena wurde am 20. Juni 1910 geboren, vermutlich in dem Ort Glybiwka in der heutigen Ukraine. Sie und ihr Mann hatten bereits ein Kind: Tochter Anna, geboren am 19. Mai 1941.
Am 22. April 1944 wurden Iwan Blisnjuks Eltern zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt und ab Mai 1944 gemeinsam mit ihrer dreijährigen Tochter Anna im Lager des Reichsbahnausbesserungswerks in Neuaubing interniert, einem Barackenlager an der heutigen Ehrenbürgstraße. Die Zwangsarbeiter*innen mussten im RAW bei der Instandhaltung von Bahnwaggons schwere körperliche Arbeit leisten. Die Menschen im Lager bekamen nicht genügend zu essen und kaum medizinische Versorgung. Dieser Mangel führte wahrscheinlich zum Tod von Iwan Blisnjuk. Er starb am 14. Januar 1945 im Alter von nur fünfeinhalb Monaten. Als Todesursache sind auf seiner Sterbeurkunde Herzlähmung und Lungenentzündung angegeben, eine damals gängige Umschreibung von Mangelernährung.
Iwan Blisnjuks Eltern und seine Schwester überlebten den Zweiten Weltkrieg. Kurz nach Kriegsende bekam die Familie Blisnjuk ein weiteres Kind: Mychajlo Blisnjuk wurde am 24. August 1945 in München geboren. Die Familie kehrte nicht nach Rakovez zurück. Der Ort gehörte bis 1945 zu Polen und wurde nach dem Krieg Teil der Sowjetunion. Bei der Einreise in die Sowjetunion wurde ehemaligen Zwangsarbeiter*innen unterstellt, freiwillig nach Deutschland gegangen zu sein; dafür wurden sie zum Teil schwer bestraft. Die Familie Blisnjuk lebte zeitweise in einem DP-Lager in Freimann, eine ehemalige SS-Kaserne. Dort waren Tausende andere Displaced Persons (DP) untergebracht, also Menschen, die die Nationalsozialisten verschleppt hatten. Die Familie Blisnjuk wollte in die USA auswandern. Ihr Antrag wurde 1956 bewilligt. (Text: Christiane Fritsche, Lektorat: NS-Dokumentationszentrum München)