Nach vielen Jahren der Erinnerungslosigkeit haben es sich die Münchner Kammerspiele zur Aufgabe gemacht, die Schicksale von Mitarbeiter*innen während der NS-Zeit zu erzählen und an die ermordeten Kolleginnen und Kollegen zu erinnern. Das Lanzeitprojekt SCHICKSALE entstand aus einer Begegnung zwischen Janne und Klaus Weinzierl mit dem Dramarturgen Martin Valdés-Stauber und möchte mit der Anbringung von zunächst fünf Erinnerungszeichen auf Einzelschicksale aufmerksam machen. Die Recherche dauert an, und weitere Erinnerungszeichen für ermordete Kolleginnen und Kollegen sollen folgen.
Benno Bing machte in München Abitur und verbrachte im Anschluss mit seiner Frau Karoline und den drei gemeinsamen Töchtern 10 Jahre in London, bevor er 1913 kaufmännischer Direktor der Münchner Kammerspiele wurde. 1924 wurde er Bevollmächtigter der Kammerspiele in Berlin. Von dort floh er zunächst nach Prag, 1935 nach Frankreich. Seine katholische Frau wurde 1938 in München von der Gestapo zur Scheidung genötigt. Benno Bing wurde im Oktober 1942 in Frankreich verhaftet und in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert, wo er im Dezember 1942 ermordet wurde. Seine Frau und die vier gemeinsamen Kinder überlebten den Holocaust.
Emmy Rohwolt wurde in Hamburg geboren und besuchte die Max-Reinhardt-Schule, die Schauspielschule des Deutschen Theaters. Ab 1922 lebte sie in Italien, ab 1931 in Frankreich, kehrte jedoch 1935 zurück nach München und spielte dort auch an den Kammerspielen. Wegen regimekritischer Äußerungen wurde Emmy Rowohlt 1939 von der Gestapo verhaftet und im Gefängnis Stadelheim für unzurechnungsfähig erklärt. Im Februar 1940 wurde sie in die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar eingewiesen. Emmy Rohwolt bemühte sich vergeblich um ihre Entlassung. Im September 1944 wurde sie durch gezielten Nahrungsentzug in der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar ermordet.
Julius Peter Seger stammte aus Böhmen und wuchs in Wien auf. Ab 1912 wurde der Schauspieler Mitglied des Ensembles am Schauspielhaus, ab 1926 Mitglied des Ensembles der Münchner Kammerspiele. 1933 emigrierten die jüdischen Ensemblemitglieder, doch Julius Peter Seger blieb trotz des Beschäftigungsverbots, und trat am 6. Mai 1933 ein letztes Mal in den Münchner Kammerspielen auf. Wenige Tage später war er einer der Mitunterzeichner einer Solidaritätserklärung für den von den Nationalsozialisten angefeindeten Intendanten Falckenberg. Im Juli 1942 verhaftete die Gestapo Julius Peter Seger und deportierte ihn in das Ghetto Theresienstadt. Von dort wurde Julius Peter Seger in das Vernichtungslager Auschwitz verschleppt und dort im Sommer 1944 ermordet.
Der in Wien geborene Hans Tintner spielte im Dezember 1919 an den Kammerspielen in Wedekinds Stück „Schloss Wetterstein“, das nach antisemitischen Protesten abgesetzt wurde. Er arbeitete als Schauspieler, Drehbuchautor, Regisseur und Produktionsleiter beim Film, und wurde mit seiner Verfilmung des Bühnenstücks „Zyankali § 218“ berühmt. 1933 verbaten die Nazis den Film. Hans Tintner verließ Deutschland, wurde in Rom, Paris und Wien Fachmann für Synchronisation. Im August 1941 wurde er in Paris von der französischen Polizei verhaftet und nach Drancy gebracht. Im Juli 1942 wurde Hans Tintner in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau verschleppt und dort ermordet.
Edgar Weil begann in der Spielzeit 1932733 als Dramaturg an den Münchner Kammerspielen. Direkt nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde er wegen eines Briefs aus Moskau denunziert, verhaftet und verhört. Nach seiner Freilassung floh Edgar Weil aus Deutschland ins holländische Exil. Seine Frau Grete Weil folgte ihm. Nach der Besetzung durch die Deutschen wurde er 1941 als jüdischer Ausländer verhaftet und in das KZ Mauthausen deportiert, wo Edgar Weil am 17. September 1941 ermordet wurde. Seine Frau Grete Weil tauchte unter und überlebte. Zurück in Deutschland schuf sie ein einzigartiges literarisches Werk gegen das Vergessen.