Siegfried Lichtenstaedter kam am 8. Januar 1865 als jüngstes von fünf Kindern des Lederhändlers Wolf Lichtenstaedter und seiner zweiten Frau Sophie, geborene Sulzberger, im fränkischen Baiersdorf zur Welt. Nach dem Tod seines Vaters übernahmen seine Mutter und der Baiersdorfer Distriktrabbiner Wolf Cohn seine Erziehung. 1882 legte Siegfried Lichtenstaedter am Fridericianum, einem Humanistischen Gymnasium in Erlangen die Reifeprüfung ab. Er studierte in Erlangen, Berlin und München, zunächst Orientalistik, Klassische Philologie, Vergleichende Grammatik indogermanischer Sprachen sowie deutsche Staats- und Rechtsgeschichte. Schließlich entschied sich Siegfried Lichtenstaedter für Jura und legte 1886 in München das Erste Staatsexamen ab. Beim Magistrat der Stadt München absolvierte er einen Teil seines Referendariats. Ab 1890 arbeitete Siegfried Lichtenstaedter in der bayerischen Finanzverwaltung und machte dort Karriere als Königlich-bayerischer Oberregierungsrat. Ende 1932 wurde er mit 67 Jahren pensioniert. Neben seiner beruflichen Tätigkeit verfasste er unter verschiedenen Pseudonymen Satiren und politische Schriften, darunter 1897 „Kultur und Humanität. Völkerpsychologische und politische Untersuchungen“. Seiner Vorliebe für den Orient ging Siegfried Lichtenstaedter auf Reisen nach Serbien und ins damals osmanische Thessaloniki nach.
Mit Beginn der NS-Herrschaft erfuhr sein Leben einschneidende Veränderungen: Als Jude war Siegfried Lichtenstaedter nun Ausgrenzung und Diskriminierung ausgesetzt. 1936 besuchte er seine Schwester in Palästina, kehrte jedoch nach Deutschland zurück. Angesichts der nationalsozialistischen Namensänderungsverordnung, wonach Juden zwangsweise Israel als zweiten Vornamen annehmen mussten, legte er seinen deutschen Vornamen Siegfried ab und nannte sich Sami. Ende 1938 veröffentlichte er unter dem Titel „Perish or change? A memorandum about the Jewish distress“ einen verzweifelten Appell an die freie Welt, vor allem an die Vereinigten Staaten. Bereits im März 1938 hatte Siegfried Lichtenstaedter seine langjährige Wohnung in der Arcisstr. 39 verlassen und in eine Pension am St.-Pauls-Platz 6 ziehen müssen. Ab Sommer 1939 kam er in einer „Judenwohnung“ in der Maximilianstraße 9 unter. Am 1. Februar 1942 musste Siegfried Lichtenstaedter in die „Judensiedlung Milbertshofen“ übersiedeln, ein Barackenlager an der Knorrstraße. Ein knappes halbes Jahr später deportierte die Gestapoihn am 23. Juni 1942 in das Ghetto Theresienstadt. Dort erlag Siegfried Lichtenstaedter am 6. Dezember 1942 den katastrophalen Lebensbedingungen. (Text Ellen Presser, Lektorat C. Fritsche)